Die Bergorsch�
Der Oberschlesier ist ein wahrer Meister in der Erfindung und Bildung neuer Worte, er besitzt hierzu ein gro�es
Talent. F�r einen Begriff hat er gleich mehrere passende Worte, welche von einem bestimmien Witz und Humor zeugen. So sagt er z.B. zu einem
sch�nen M�dchen "schwarna" oder "feina" oder "gryfna" oder "schykowna" oder "schumna",
"Fr�litschka". Diese Worte ethymologisch zu deuten, ist eine sehr sch�ne und interessante Arbeit. �hnlich verh�lt es sich mit
dem Wort "Bergorsch�"; es ist eine typisch oberschlesische Wortbildung, wobei das Stammwort "Berg" verwendet wurde. Es
steht im Zusammenhang mit dem Wort Berghalden sowie mit dem Wort bergen, gemeint ist damit das Bergen von Steinkohlen und dem anderen Abraum
von Untertage. Wenn der Oberschlesier auf die Berghalden geht, so sagt er: "er geht auf die Bergi" und so werden auch die Leute,
die auf die Halden gehen, als "Bergorsch�" bezeichnet. Es sind meistens arme Menschen, die auf den Halden nach Kohlenabf�llen,
Brandschiefer und Holzabf�llen suchen. Viele von ihnen haben dadurch einen kleinen Nebenverdienst, denn ihre eigene Kohle, welche sie als
Deputat von der Grube erhalten, verkaufen sie und verwenden das Geld in ihrem Haushalt. Die auf den Halden gesammelten Kohlenabf�lle
verbrauchen sie selber. Von dem Erl�s der verkauften Kohle wird eine gr��ere Anschaffung gemacht; meistens ist es ein Ferkel und das
hierf�r ben�tigte Futter. Die auf den Halden gesammelten Kohlenabf�lle haben keine gro�e Brennkraft, sie sind stark mit Brandschiefer
und Steinen vermischt und hinterlassen sehr viel Schlacke. Bei der Kohlenf�rderung Untertage werden die vollgeladenen Kippwagen, auch Hunde
genannt, von Untertage den Schacht hinaufgezogen, um �bertage ausgewertet zu werden. Jeder Wagen, in welchem sich Kohle mit nur wenig
Schiefer und Gestein befindet, wird Untertage mit einer Metallmarke gekennzeichnet, dieselbe tr�gt die Nummer von dem F�rderort, an
welchem die Kohle gehauen und verladen wurde. In fr�heren Zeiten hatte man anstelle der Metallmarke einen abgeflachten Holzpflock in einem
Ausma�e von 3 x 3 x 25 cm. In diesem war eine r�mische Zahl eingekerbt, welche ebenfalls den F�rderort bezeichnete. �bertage kamen die
Wagen, die eine Marke hatten, in die Separation, um dort die Kohle von den restlichen Steinen zu s�ubern. Diese Arbeit wurde meistens von
Frauen ausgef�hrt, man nannte die Frauen "Haschiore". Die Wagen ohne Marken kamen gleich auf das Gleis, das zur Halde f�hrte.
Hier wurden diese Wagen zu einem Zug zusammengestellt und von einer Lokomotive an die Halden gefahren. Auf manchen Grubenanlagen mu�ten sie
mit einem Aufzug oder einem Seilzug auf die Halden heraufgezogen werden und dort wurden sie abgekippt. Es gab verschiedene Arten von Halden,
die meisten waren langgezogen, erstreckten sich auf viele hundert Meter, andere waren wieder kegelf�rmig aufgesch�ttet. Bei jeder
Grubenanlage lagen die Verh�ltnisse anders.

Den ganzen Tag �ber konnte man bei den Halden Menschen sehen, die Abfallkohle und Holzabf�lle sammelten,
Obwohl das ganze Gebiet um die Halden abgesperrt und das Betreten derselben verboten war, so kam es doch ganz selten vor, da� sich mal eine
Aufsichtsperson von der Grube zeigte. Die Bergorsch�s taten es auf eigene Gefahr und wenn sie mal weggejagt wurden, so kamen sie bald
wieder. Die Arbeit dieser Menschen war sehr schwer und gef�hrlich, denn oft rollten gro�e Gesteinsbrocken mit starker Wucht und
Geschwindigkeit herunter und viele Leute sind beim Ausweichen �ber das Gestein gestolpert und haben sich verletzt. Nicht selten kamen Kn�chel-
und Unterschenkelbr�che, Hautwunden und Absch�rfungen an H�nden und F��en vor. Die Bekleidung und das Schuhwerk dieser Kohlensammler
war sehr �rmlich, die �ltesten Fetzen und grobes Schuhwerk, auch "Schkarboe" genannt, wurden hierzu angezogen. Jeder war mit
einem alten Eimer, auch "Kib�l" genannt, sowie einem gro�en Hammer, dem sogenannten "Muotek" ausger�stet. Die
Lokomotive brachte in unregelm��igen Abst�nden die vollbeladenen Kippwagen an die Stelle, wo sie ausgesch�ttet wurden. Wenn sich der Zug
der Stelle n�herte, schrie die Begleitmannschaft mehrere Male: "Achtung - Posur", worauf die am Fu�e der Halde wartenden
Bergorsch� in Position gingen, um die fettesten Brocken, welche den Abhang herunterrollten, f�r sich zu erhaschen. Es gab auch einige
Kohlensammler, die es mit dem Begleitpersonal der Z�ge auf den Halden gut verstanden und die Kippwa- gen w�hrend der Fahrt zur
Abkippstelle nach guter Kohle durchsuchten und in ihre Eimer sammelten. Es geh�rte schon eine bestimmte Erfahrung und Sachkenntnis dazu,
diese Brocken, in welchen gen�gend Kohle vorhanden waren, von weitem herauszufinden. Die Anf�nger hatten bei dieser Arbeit nur eine kleine
und schlechte Ausbeute. Ein alter Bergorsch sah gleich seine Beute, denn er war stein- und kohlenkundig; die schweren Steine, welche
schneller den Abhang herunterrollten, waren meist taub, sie hatten keine Kohle, die leichteren wiederum, welche hinter diesen zur�ckblieben,
enthielten mehr Kohle. Die Steinbrocken, in welchen man Kohle vermutete, wurden mit dem Hammer auseinandergeschlagen. Die Arbeit war nicht
schwer, denn die Brocken enthielten viel Brandschiefer, welcher sich leicht spalten lie�. Die so befreiten Kohlenst�cke, vermischt noch
mit Brandschiefer, wurden in die Eimer gesammelt und in einer bestimmten Entfernung von der Halde auf einen Haufen, auch "Kupka"
genannt, geleert.
Die Arbeit der Kohlensammler dauerte stundenlang, je nach Gl�ck, Flei� und Kenntnis wuchsen ihre
Kohlenhaufen. Meistens blieben sie den ganzen Tag �ber an den Halden, a�en dort ihr bescheidenes Mittagessen, oft war es nur eine in
Zeitungspapier eingewickelte Fettschnitte und tranken dazu schwarzen Kaffee aus einer Blechkanne. In kalten Jahreszeiten machten sie ein
kleines Lagerfeuer, um ihre steifen Finger wieder ein wenig aufzuw�rmen. Es war somit eine schwere, schmutzige und gef�hrliche Arbeit;
dazu kamen noch viele Unstimmigkeiten, denn oft wurde in einem unbewachten Moment, der angesammelte Kohlenhaufen des einen viel zu schnell
gr��er und der des Nachbarn demenisprechend kleiner. B�se Worte und Keilereien blieben da nicht aus. Sobald die mitgebrachten S�cke und
K�rbe gef�llt waren, wurden sie auf den Handwagen, im Winter war es ein selbstgebastelter Kastenschlitten, verladen und hungrig,
abgespannt und m�de, im Winter meistens t�chtig ausgefroren, ging es dann heimw�rts.
Selten ging nur eine einzelne Person Kohlen sammeln; es waren meistens mehrere, die sich zusammentaten,
darunter waren auch viele Kinder. Sobald das Sammeln der Kohlen gewerbsm��ig betrieben wurde, gingen ganze Gruppen auf die Halde und
sammelten so viele Kohlen, da� diese von einem Pferdegespann abgeholt wurden. Meisten waren es Leute aus der Ratiborer Gegend, in der es
keine Kohlengruben gab. Daher holten sich diese Leute an den Rydultauer und Pschower Halden ihr Brennmaterial. Oft kam es vor, da� die
gesammelten Kohlen nicht am selben Tage abgefahren werden konnten, dann wurden diese mit S�cken abgedeckt und eine Nachtwache aufgestellt.
In den Notzeiten waren die Halden stark von armen Menschen belagert, besonders w�hrend der gro�en
Arbeitslosigkeit in den zwanziger Jahren sowie nach dem zweiten Weltkriege. Viele Oberschlesier kamen nach dem Kriege nicht heim, sie
hinterlie�en Witwen und Waisen, andere wurden wieder in Lagern eingesperrt und die Zur�ckgebliebenen wurden von keiner Seite unterst�tzt.
Das betraf meistens Frauen und Kinder, sie lebten in bitterster Not und waren gezwungen auf den Halden Abfallkohlen zu sammeln. Ein gro�er
Prozentsatz unter ihnen waren deutschgesinnte Oberschlesier, welchen alles weggenommen wurde. Nicht nur, da� man sie aus den Wohnungen
herausjagte, man nahm ihnen auch das ganze Mobiliar weg. Diese Armen der �rmsten, es waren wiederum meistens Frauen und Kinder, deren M�nner
nicht da waren, sind auf die Gnade der Mitmenschen angewiesen gewesen. Von meiner Mutter und von meiner Schwester habe ich das gro�e Leid
und Elend, welches sie nach dem zweiten Weltkriege in Oberschlesien mitmachen mu�ten, erfahren. Auch sie waren gezwungen f�r den Winter
Kohlen zu sammeln. Unter den echten Oberschlesiern gab und gibt es immer wieder gute Menschen, welche den in Not geratenen Hilfe zukommen
lassen.
Dr Leopold Walla
Aus dem Buch "So lebten wir in Oberschlesien"